Steirischer Kreuzstich (1865/1910)

Der Kreuzstich mit rotem Faden auf weißem Leinen gilt gemeinhin als das markanteste Element einer echt steirischen Tradition. In Wirklichkeit ist er eine bewusste Verbeugung vor dem „altdeutschen“ Stil des 16. Jahrhunderts, der von den Volkskundlern der 1920er-Jahre unterstützt und von den Nazis zu Propagandazwecken gefördert wurde. Im 19. Jahrhundert waren steirische Haushalte, ob bürgerlich oder – in geringerem Ausmaß – bäuerlich, eher mit naturalistischen Biedermeierstickereien geschmückt, die mit verspielten Formen und leuchtenden Farben aufwarteten.

Nach dem „Anschluss“ wurden diese als kitschige und unruhige Verirrungen angesehen. „Einfache, klare Formen“ entsprachen der „echt deutschen Wesensart“, so das neue Denken. Der Kreuzstich wurde weithin als Handwerk in der Schule eingeführt, um die Homogenisierung der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft voranzutreiben. Heute ist es bemerkenswerterweise immer noch unklar, was genau als „echte“ steirische Folklore gelten soll.

Rosalia Dirnberger
(Lebensdaten unbekannt)
Kreuzstich-Mustertuch (1861)
Garn auf Stramin

Künstler:in unbekannt
Kreuzstich-Mustertuch (1910)
Rotes Garn auf Stramin

Volkskundemuseum am Paulustor / Universalmuseum Joanneum