Alina Kleytman
The Tongue (2016) / The Place to See Before You Die (2024)
Alina Kleytman, The Place to See Before You Die (2024)
The Place to See Before You Die, Standbild, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin
The Tongue, Standbild, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin
The Tongue (2016)
Bei Alina Kleytmans Tongue mag man gar nicht hinschauen. Der Film ist so aufreibend wie sein Thema. Die Künstlerin liegt in einem tristen Krankenhausbett, während ihre Zunge immer weiter anschwillt – sehr zum Entsetzen der Krankenschwester, die vergeblich versucht, ihr zu helfen. Seit Russlands großflächiger Invasion der Ukraine ist diese Szene ein wenig näher an die Realität gerückt. Die Kreml-Propaganda beansprucht alle russischsprachigen Gebiete für die Russische Föderation, sodass russischsprachige Ukrainer:innen langsam an ihrer Muttersprache ersticken, bis sie sie schließlich nicht mehr benutzen. Kleytmans Film drückt dieses Gefühl aus, behandelt aber auch das Stigma, das einer ganzen Sprache heute als Folge der Geopolitik anhaftet.
The Place to See Before You Die (2024)
Alina Kleytmans neue Arbeit ist ein parodistischer Tourismusfilm. Seine geschlechtsneutrale Protagonist:in Dirty White Victim and Fool verkauft Reisen nach Charkiw, die ukrainische Heimatstadt der Künstlerin. Seit dem Beginn der russischen Vollinvasion ist Charkiw oft nahe an der Front, wird beschossen und belagert. Die Dreharbeiten dort im Jahr 2024 waren entsprechend schwierig und gefährlich.
Im Film preist Dirty White – in Lumpen und mit grellem Make-up – stolz eine Wohnung in einem halb zerstörten Gebäude an, ebenso wie die vielen neuen Friedhöfe, die für die Opfer des Krieges angelegt werden mussten. Die Figur tauchte erstmals 2022 in Kleytmans Welt auf, und zwar „gegen ihren Willen“, wie die Künstlerin sagt. Dirty White ist besessen vom „endlosen Glanz menschlicher Gewalt“ und rückt verschiedene Facetten davon ins Rampenlicht. Das „schmutzige Weiß“ der Figur verweist auf die groben Makel des universellen („weißen“) Humanismus und seine Geschichte von Mord und Folter.
Alina Kleytman (1991, Charkiw, Ukraine) ist eine Künstlerin, deren Praxis Skulptur, Video und kuratorische Projekte umfasst. Kleytman bezeichnet ihren Ansatz als „hysterischen Realismus“ und befasst sich mit Themen, die von psychologischen und physischen Grenzen bis zu schwarzer Magie, Missbrauch in Beziehungen und Entpersönlichung durch Selbstverherrlichung reichen. Ihre Arbeiten verkörpern auf subjektive Weise die heutigen politischen und sozialen Realitäten. Kleytman erhielt 2021 den Women in Arts Award und ist zweifache Gewinnerin des PinchukArtCentre Prize. Sie lebt in Turin.
The Tongue (2016)
HD-Video, Stereoton, 4:46 min
Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin
The Place to See Before You Die (2024)
4K-Video, Stereoton, 5:11 min
In Auftrag gegeben und produziert von steirischer herbst ʼ24