Horror Patriae
Ausstellung
20.9.24–16.2.25
Neue Galerie Graz
Joanneumsviertel
8010 Graz ♿
Di–So 10:00–18:00
12/11/5,50 Euro (Eintritt frei
unter 19 Jahren)
19.9., 18:00–20:00
Vernissage
Mit Musik von Mélange Oriental
Eintritt frei
20.9., 11:30–15:30
Artist Talks
In englischer Sprache
Eintritt frei
25.9., 2.10., 9.10.,
23.10., 6.11., 20.11.,
17:00–18:00
Ausstellungsgespräche
mit Expert:innen
Eintritt frei
Nationalmuseen sind Geisterhäuser. Gegründet von Reichen und Staaten, die längst nicht mehr existieren, dienten sie dazu, nationale Mythen zu konstruieren und zu bestätigen. Auch wenn sich die Welt ständig verändert, treiben einstiger Größenwahn und kleinliche Ressentiments dort häufig noch ihren Spuk.
Die Ausstellung Horror Patriae ist ein Herzstück des steirischen herbst ’24. Sie setzt sich mit der dunkleren Seite des Patriotismus in all seinen Formen auseinander, und das auf der ganzen Welt. Veranstaltungsort ist das historische Gebäude des Joanneums (heute Universalmuseum Joanneum). Gegründet im Jahr 1811 als Museum der Aufklärung mit einer Bildungsfunktion, war das Joanneum im Zentrum dessen, was der Historiker Benedict Anderson eine „vorgestellte Gemeinschaft“ nennt. Wie Anderson in seinem einflussreichen Buch Die Erfindung der Nation (1983) argumentiert, sind alle Nationalstaaten, wie wir sie kennen, Erfindungen, Werke der kollektiven Vorstellungskraft des Bildungsbürgertums. Museen, ebenso wie Romane, Zeitungen und Theaterstücke, sind Orte dieser Konstruktionsarbeiten.
In dieser Welt imaginärer Staaten war der, den das Joanneum zeigte, besonders flüchtig: Die Steiermark war eher eine Provinz als ein Staat, obwohl Graz zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte – während der Renaissance – die Hauptstadt eines Territoriums namens Innerösterreich war, das Teile des heutigen Italiens und Sloweniens umfasste. Der Gründer des Museums, Erzherzog Johann (1782–1859), förderte den Lokalpatriotismus gegenüber der noch schwammigeren Identität eines riesigen Vielvölkerstaates mit Nachdruck. Dennoch legte er mit seiner überraschend universalistischen Denkweise großen Wert auf die Notwendigkeit, von allen Ländern zu lernen – insbesondere im Bereich des Handwerks und der Technologie. So strukturierte er das Museum als Katalog von Leistungen, die es wert sind, studiert zu werden.
Die spätere Geschichte des Joanneums stand ganz im Zeichen von Spannungen zwischen dem Lokalen und dem Kosmopolitischen. In den 1880er-Jahren entwickelte es sich zu einem angesehenen Museum der „hohen“ Kunst. Allerdings wurde 1913 auch eine Abteilung für das bäuerliche Alltagsleben eingerichtet. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wandte sich die Institution hin zum Deutschnationalismus, der den „Anschluss“ ermöglichte. In den 1950er-Jahren gab es wiederum eine paradoxe Wiederbelebung Innerösterreichs, dieses Mal als rein imaginäres Bündnis.
Unter Bezugnahme auf diese und viele andere lokale und internationale Geschichten entwirft Horror Patriae ein alternatives Museum nationaler Komplexe und dunkler Fantasien. Die Ausstellung kombiniert Werke und Artefakte aus den verschiedenen Sammlungen des Universalmuseums Joanneum mit Arbeiten zeitgenössischer Künstler:innen und ist in mehrere fiktive Abteilungen gegliedert. Ist dieses Museum dysfunktionaler und widersprüchlicher Nationalitäten die einzige Möglichkeit, sich ein Nationalmuseum in einer Zeit wie der unseren vorzustellen, in der patriotische Gefühle positiv aufgenommen werden, auch wenn sie eine dunkle Seite haben?
Kuratiert von Ekaterina Degot, David Riff, Gábor Thury und Pieternel Vermoortel, unterstützt von Beatrice Forchini und Tobias Ihl
Berater:innen: Ulrich Becker, Ulrike Hausl-Hoffstätter, Eva Maria Hois, Herwig G. Höller, Günther Holler-Schuster, Birgit Johler, Karin Leitner-Ruhe, David Nayer, Wolfgang Paill, Barbara Porod, Barbara Seyerl
Eine Kooperation von steirischer herbst ’24 und Neue Galerie Graz / Universalmuseum Joanneum
Heimattempel
Bezeichnungen für Herkunftsorte sind nicht neutral. Das lateinische Wort patria kann sich auf eine Stadt, ein Dorf oder sogar auf das Haus beziehen, in dem man geboren wurde. Seine deutsche Übersetzung, „Vaterland“, klingt bereits offizieller, nach einer Nation mit Grenzen und einer Armee, die von der Bevölkerung Opfer verlangt. Das deutsche Wort „Heimat“ ist so besonders, dass es sich schwer in andere Sprachen übersetzen lässt.
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Abteilung für gemäßigten Größenwahn
Auf einem Gemälde aus dem 16. Jahrhundert thront Österreich sowohl über Europa als auch über Afrika und setzt sich damit über Logik und Geografie hinweg. Die Hierarchie des Gemäldes beruht auf einer andersartigen Ordnung, auf einer vormodernen Welt, in der es weder Pässe noch Grenzen noch Nationalsprachen gab. Die Bäuerinnen und Bauern identifizierten sich mit ihren Dörfern, während die herrschenden Klassen sich in einem abstrakteren Sinne verstanden: durch die Zugehörigkeit zu einer Dynastie.
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Galerie der zaghaften Moderne
Die Architektur des 19. Jahrhunderts mit ihrem eklektischen Historismus bot privaten wie öffentlichen Auftraggebern eine breite Palette an ästhetischen Formen, mit denen sie sich identifizieren konnte. Oft war die Wahl des Stils auch ein politisches Statement. Im Habsburger Vielvölkerstaat war der Neoklassizismus die universelle Sprache der Bürokratie und der Macht, da er angeblich neutral und nicht national war. Gerade deshalb wurde er in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als der „deutsche Nationalstil“ vom oppositionellen Bürgertum propagiert wurde, allgemein gehasst.
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Kabinett der Gipfel und Hügel
Es war die europäische Romantik, die das Spektakel hoher Berge erstmals zu schätzen wusste, anstatt sie als logistisches Hindernis zu betrachten. Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts stellte der englische Philosoph Edmund Burke (1729–1797) eine Verbindung zwischen den Bergen und der Idee des Erhabenen her – einer Form von nicht klassischer, moderner Schönheit, die ein erschreckendes, übermenschliches Element enthält.
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Direktorium der Nationen
Lange bevor es Nationalstaaten gab, waren die Menschen von der Klassifizierung nationaler Eigenschaften fasziniert, wenn nicht gar besessen. Frühe pseudowissenschaftliche Typologien basierten oft auf falschen Annahmen über klimatische und geografische Unterschiede. Außerdem waren sie oft rassistisch – in erster Linie gegenüber Schwarzen und Jüdinnen und Juden, aber auch gegenüber Ost- und Südeuropäer:innen.
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Station der wilden Fantasien
Die Faszination für die vermeintlich „wilde“ Exotik anderer Kulturen und Gegenden zieht sich durch die europäische Geschichte. Regionalmuseen wie das Joanneum sammelten exotische Artefakte und seltene Präparate aus der ganzen Welt. Diese Faszination – mehrere Beispiele aus verschiedenen Epochen sind in diesem Raum zu sehen – wurde oft durch Naivität, Ignoranz und Rassismus befeuert.
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Kammer der unwahrscheinlichen Patriot:innen
Jede Region und jedes Land hat Dichter:innen, Schriftsteller:innen oder Künstler:innen, die es als nationale Ikonen verehrt – ungeachtet ihrer inneren Widersprüche. Aber Österreich hat zu jeder Zeit seiner Geschichte eine Kohorte von Schriftsteller:innen und Künstler:innen gekannt, deren Haltung zu ihrer Heimat radikal kritisch, fast schon Abscheu vor ihr war.
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Sektion der braunen Flaggen
Heute würde es keiner politischen Partei im Traum einfallen, Braun als ihre Farbe zu verwenden, da diese schmerzhafte Assoziationen mit den Nazis weckt: Es war die Farbe der aus der Kolonialzeit übrig gebliebenen Uniformen, die von der SA in den 1920er- und 1930er-Jahren getragen wurden. Wenn man jedoch im postfaschistischen Deutschland oder Österreich auch nur an der Oberfläche kratzt, findet man braune Uniformen und andere Attribute des Dritten Reichs, wie auf dem in diesem Raum ausgestellten Gemälde von Johannes Wohlfart (1900–1975).
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steirischerherbst’24
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