Horror Patriae Ausstellung
Direktorium der Nationen
Lange bevor es Nationalstaaten gab, waren die Menschen von der Klassifizierung nationaler Eigenschaften fasziniert, wenn nicht gar besessen. Frühe pseudowissenschaftliche Typologien basierten oft auf falschen Annahmen über klimatische und geografische Unterschiede. Außerdem waren sie oft rassistisch – in erster Linie gegenüber Schwarzen und Jüdinnen und Juden, aber auch gegenüber Ost- und Südeuropäer:innen. Die Völkertafel (18. Jahrhundert) aus Bad Aussee ist ein Beispiel für eine solche populäre Pseudoanthropologie. Sie verwendet eine bürokratische Form, die Macht impliziert, und betrachtet osteuropäische Nationen als erheblich unterentwickelt. Die Tafel wurde häufig als Gesprächsstoff für Gaststätten kopiert, wo Reisende ihre Erfahrungen austauschen konnten.
Im Habsburger Vielvölkerstaat sprach nur etwa ein Viertel der Bevölkerung Deutsch als Muttersprache. Einige Kaiser sprachen überhaupt kein Deutsch. Dennoch wurde es zur prestigeträchtigsten und schließlich einzigen Amtssprache der Monarchie, die eher Klassenzugehörigkeit als ethnische Zugehörigkeit ausdrückte. Historisch gesehen war Graz ein Außenposten, der sich im Gegensatz zum kosmopolitischen Wien stark mit dem Deutschtum identifizierte.
Allerdings war die Steiermark größer als heute und umfasste wesentliche Teile des heutigen Sloweniens. Deutsch und Slowenisch wurden in allen Schichten gesprochen. Noch bevor der Erste Weltkrieg eine Grenze zwischen zwei brandneuen Ländern – der Republik Österreich und dem Königreich Jugoslawien – schuf, entwickelte sich auf österreichischer Seite eine paranoide Angst vor einer Slawisierung. Man verstand sich als Grenzregion, ein Begriff, der typischerweise von Deutschnationalen und später den Nazis verwendet wurde.
In Graz wurde das wichtigste Denkmal für die lokale steirisch-deutsche Identität von Viktor Geramb (1884–1958) geschaffen, einem äußerst einflussreichen Volkskundler, der das örtliche Volkskundemuseum gegründet hat. Eines seiner Räume ist der sogenannte Trachtensaal (1938–40), eine gespenstische Installation von lebensgroßen Figuren, die die steirische Bevölkerung im Laufe der Zeit in ihrer angeblich traditionellen Kleidung zeigen. Dahinter steckt eine antimodernistische Panik vor dem Verlust der „Authentizität“.
Geramb war eine umstrittene Persönlichkeit. Er war ein überzeugter Katholik, was ihn bei den Nazis nicht gerade beliebt machte. Sie schätzten es auch nicht, dass er die Arbeit seines Freundes Konrad Mautner (1880–1924), ein Wiener Volkskundler jüdischer Abstammung, fortführte. Dennoch war Geramb ein Deutschnationaler, der auf das Wort „Volk“ schwor, und seine Ideen waren mit der Blut-und-Boden-Ideologie vereinbar. Im Trachtensaal wurden Trachten propagiert und durchgesetzt, die Geramb als wahrhaft deutsch, vom slawischen Element unverfälscht betrachtete. Daher war die Südsteiermark unterrepräsentiert.
Geramb lehnte eine andere Verunreinigung der Tracht ebenso ab: die falsche, städtische Mode der Dirndl und Lederhosen, eine „üble Maskerade“, die von Sommerurlauber:innen – darunter auch Jüdinnen und Juden – getragen und von Modegeschäften verkauft wurde. Viele davon waren damals in jüdischem Besitz, etwa Kastner & Öhler in Graz. Die Nazis bezeichneten diese Popularisierung der Tracht als „jüdischen Trachtenkitsch“.