Horror Patriae Ausstellung
Galerie der zaghaften Moderne
Die Architektur des 19. Jahrhunderts mit ihrem eklektischen Historismus bot privaten wie öffentlichen Auftraggebern eine breite Palette an ästhetischen Formen, mit denen sie sich identifizieren konnte. Oft war die Wahl des Stils auch ein politisches Statement. Im Habsburger Vielvölkerstaat war der Neoklassizismus die universelle Sprache der Bürokratie und der Macht, da er angeblich neutral und nicht national war. Gerade deshalb wurde er in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als der „deutsche Nationalstil“ vom oppositionellen Bürgertum propagiert wurde, allgemein gehasst. Dieser Konflikt prägte die Fassade des Grazer Rathauses und seinen Eingangsbereich, die in diesem Raum zu sehen sind.
Der deutsche Nationalstil wurde zum Schwerpunkt der Kunstgewerbesammlung des Joanneums. Ihr Begründer, Karl Lacher (1850–1908), konzentrierte sich bei der Auswahl der Möbel und angewandten Kunst fast ausschließlich auf den sogenannten Nürnberger Stil. Wie immer im Joanneum dienten auch diese Sammlungen der Ausbildung heimischer Handwerker:innen.
Paradoxerweise stieß diese Besessenheit mit „altdeutschem“ Stil bei den Kulturverantwortlichen des Dritten Reichs, die nach 1938 die Zügel in die Hand nahmen, auf wenig Gegenliebe. Für sie repräsentierte er Kitsch und Gemütlichkeit, einen Humanismus, den sie ausmerzen und durch eine modernere, ideologisch und formal saubere Ästhetik ersetzen wollten. Die in diesem Raum gezeigte Geschichte des steirischen Kreuzstichs war ebenfalls von diesen Zwängen betroffen.
Das Ende des Projekts eines Großdeutschen Reiches bedeutete nicht das Ende des altdeutschen Geschmacks. Aber nach 1945 entstand ein alternativer und modernerer Traum von einstiger Größe, ein spezifisch steirischer Traum: Innerösterreich. Es handelte sich dabei um eine alte Verwaltungsbezeichnung für die Steiermark und mehrere Regionen, die früher eine deutschsprachige Bevölkerung hatten, jetzt aber zu Italien oder Slowenien gehörten. Auch wenn Innerösterreich bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren eine reine Fiktion war, stand diese Fiktion hinter vielen kulturellen Initiativen des steirischen Politikers Hanns Koren (1906–1985). Eine davon war der steirische herbst, eine andere die Dreiländerbiennale trigon, die offizielle Kooperationen mit Italien und Jugoslawien etablierte. Werke von Paolo Tessari und Franco Vaccari landeten in diesem Zusammenhang in der Neuen Galerie, während Drago Julius Prelog zu jenen Künstler:innen gehörte, deren Herkunft aus einem Grenzgebiet eher unerwähnt blieb.