Ahmet Öğüt, Von Freiheitsplatz zu Freiheitsplatz (2025)

Reden der Umbenennungszeremonie

26.6., 11:30
Freiheitsplatz
8010 Graz

Ahmet Öğüt, Von Freiheitsplatz zu Freiheitsplatz (2025), Intervention, Foto: steirischer herbst / Daniel Kindler

Ekaterina Degots Rede

Liebe Journalist:innen, liebe Kolleg:innen, liebe Gäste,

ich freue mich, eine der ersten Veranstaltungen des steirischen herbst ’25 zu eröffnen, und zwar ein Projekt, das für das ganze Festival bis Mitte Oktober bleibt, ein Projekt des Künstlers Ahmet Öğüt, das heute in Anwesenheit des Rechtsanwaltes Rahim Rastegar inauguriert wird. Ich freue mich, Ihnen beide heute vorzustellen.

Das Projekt gibt dem Freiheitsplatz einen neuen Namen, was nicht zum ersten Mal passiert.

Wir stehen heute auf einem sehr ruhigen Platz, der einmal ein höchst politisches Projekt war. Es ist einer von wenigen künstlich angelegten Plätzen in Graz, anders etwa als der Hauptplatz, der organisch gewachsen ist. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, war der Franzensplatz mit seiner radikal geometrischen Form inmitten der noch mittelalterlichen Stadt ein politisches Statement über die Habsburger, die Ordnung, die sie bringen, und die bürgerlichen Institutionen, die sich hier befinden – ein Theater, eine Universität, ein Monument.

In dieser Rolle einer Bühne der bürgerlichen Gesellschaft hat dieser Platz seinen größten historischen Moment erlebt – die Ausrufung der Republik am 12. November 1918. Zwei Tage später wurde der Platz in Freiheitsplatz umbenannt. „Aus Untertanen werden freie Bürger eines freien Staates.“

Wie wir alle wissen, hat die Geschichte dann einige Schritte zurück gemacht, und 1934 wurde der Platz wieder zum Franzensplatz. Aber – was noch merkwürdiger ist – die letzte Umbenennung, nach dem „Anschluss“, hat dem Platz wieder den Namen Freiheitsplatz gebracht, den wir heute benutzen, ohne zu bedenken, dass dieser Name der „Stadt der Volkserhebung“ gehört.

Wie kann das sein? Die Ära des Dritten Reichs sollte doch sicher eher für Freiheitslosigkeit stehen als für Freiheit. (Sonst würden wir nicht über die „Befreiung“ von den Nazis reden.)

Das ist nicht das einzige Mal, wo wir sehen, wie einfach das Wort „Freiheit“ pervertiert werden kann – als ein Motto für mehr Sicherheit zum Beispiel, das mehr Waffen in privaten Haushalten bedeutet. Oder als ein Name für politische Parteien und Projekte, die liberté gegen egalité positionieren, und wo fraternité düstere Formen annimmt.

In der Neuzeit wurde Freiheit immer in Abgrenzung gegen etwas definiert. Gegen die Religion in der Aufklärung, gegen Ausbeutung im Marxismus, gegen die Monarchie in Revolutionen, gegen Kolonialismus in antikolonialen Bewegungen.

Aber auch, und heutzutage vielleicht meistens, gegen andere gesellschaftliche Systeme – gegen den Kommunismus im Kalten Krieg oder nicht westliche Religionen heute. Diese Freiheit ist zur sehr unkritischen Selbstdefinition des Westens geworden, wo Freiheit für wenige reserviert ist, im Gegensatz zu Gruppen und sogar ganzen Ländern, die für Freiheit angeblich nicht bereit oder dazu unfähig sind.

Das bringt Ahmet Öğüt zur Umbenennung des Freiheitsplatzes in Freiheitsplatz. Diese konzeptuelle Umbenennung sollte uns alle dazu bringen, darüber nachzudenken, welche Freiheit wir für uns und alle anderen wollen.

An dieser Stelle gebe ich das Wort an Ahmet Öğüt.

Ahmet Öğüt, Von Freiheitsplatz zu Freiheitsplatz (2025), Intervention, Foto: steirischer herbst / Daniel Kindler

Ahmet Öğüts Rede

Herzlich willkommen zur feierlichen Umbenennung des Freiheitsplatzes in Freiheitsplatz. Ich möchte Dr. Rahim Rastegar, unserem Anwalt, dafür danken, dass er diese Namensänderung juristisch begleitet hat, sowie der Intendantin und Chefkuratorin Ekaterina Degot und dem Team des steirischen herbst, die diese Zeremonie ermöglicht haben.

Wie wir wissen, wurde der Freiheitsplatz, vormals Franzensplatz, bereits zweimal in Freiheitsplatz umbenannt: 1918 und 1938. Leben wir immer noch mit der Freiheit von 1938?

Im Laufe der Geschichte haben Rechtsextreme Wörter wie Freiheit, die einst für Gerechtigkeit, Gleichheit und Befreiung standen, oft für ihre Zwecke verdreht. Derzeit gibt es viele rechtsextreme Nationalist:innen in der Welt, die das Wort „Freiheit“ für ihre Zwecke missbrauchen. Ich möchte hier ein paar Beispiele nennen:

In verschiedenen Ländern gibt es zahlreiche politische Gruppierungen, die den Begriff „Freiheit“ in ihrem Namen tragen und eine Reihe von rechtsgerichteten, nationalistischen oder populistischen Ideologien vertreten. In Österreich ist die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) eine rechtsextreme, nationalistische und einwanderungsfeindliche Partei mit einer euroskeptischen Haltung. Die von Geert Wilders gegründete Partei für die Freiheit (PVV) in den Niederlanden ist ebenfalls einwanderungsfeindlich, islamfeindlich und europaskeptisch. Die Schweizer Freiheits-Partei (FPS) war eine nationalistische, rechtspopulistische Gruppierung. In der Tschechischen Republik vertritt Freiheit und direkte Demokratie (SPD) nationalistische, einwanderungsfeindliche und europaskeptische Ansichten. Freiheit und Solidarität (SaS) in der Slowakei ist libertär und kombiniert wirtschaftspolitische Maßnahmen des rechten Flügels mit eher zentristischen sozialen Positionen. Die albanische Freiheitspartei (PL) hat eine konservative, nationalistische Ausrichtung. In den Vereinigten Staaten übt der Freedom Caucus, eine rechtsextreme Vereinigung innerhalb der Republikanischen Partei, erheblichen Einfluss aus, obwohl es sich nicht um eine eigenständige Partei handelt. Die kanadische Freedom Party of Ontario behauptet, auf einer Mischung aus liberalen und konservativen Grundsätzen zu beruhen. In Australien hat die Freedom Party of Victoria, eine rechtsgerichtete Kleinstpartei, Aufmerksamkeit erregt, weil sie beim Referendum über die Stimme der australischen Ureinwohner 2023 für ein Nein geworben hat. Trotz unterschiedlicher Kontexte verwenden diese Gruppen häufig die Rhetorik der „Freiheit“, um nationalistische oder konservative Agenden voranzutreiben.

Die Rückgewinnung der Freiheit ist daher heute nicht nur ein symbolischer Akt, sondern dringend notwendig. Freiheit muss in Solidarität mit denjenigen neu definiert werden, die immer noch für die Freiheit kämpfen. Wie Ekaterina Degot sagte: Wir wollen die Freiheit heute von dieser Besetzung befreien.

Wir müssen uns fragen:

Was bedeutet Freiheit heute, vor allem in Europa, wo wir den Aufstieg des Faschismus, erzwungene Migration und wachsende Ungleichheit erleben?
Wer darf sich frei bewegen?
Wer darf frei sprechen?
Wer hat das Recht, sich zu versammeln, zu protestieren, eine Meinung zu äußern – oder einfach nur in der Öffentlichkeit sichtbar zu sein?

Was bedeutet es wirklich, die Freiheit zurückzufordern?

Für uns ist Freiheit kein nationalistisches Narrativ, sondern etwas, das wir teilen.
Es geht nicht um Macht über andere, sondern um ein Zusammenleben in Frieden.
Es geht nicht um die Freiheit für einige wenige, während andere ausgeschlossen werden, sondern um eine Freiheit, die auf Fürsorge, Solidarität und Fairness beruht.

In Ihrer Gegenwart registrieren wir dies als den ersten Schritt, um „Freiheit“ zu befreien.

Danke, dass Sie Zeuge dieses Aktes der Neubestimmung sind.