Travestie in Graz, 1973
Körpersprache/Bodylanguage als queeres Projekt
Eike Wittrock


„Die Eroberung eines anderen Geschlechts findet zunächst in einem selbst statt“

Dieser Satz der Künstlerin Katharina Sieverding, notiert in den 1970er-Jahren, benennt ein künstlerisches und gesellschaftliches Programm, das zum Ziel hat, normative Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität aufzubrechen – ein Programm, dem sich auch soziale Bewegungen dieser Zeit verschrieben hatten, die wir heute unter dem Begriff „queer“1 subsumieren. Es ist die Zeit, in der lesbische, schwule und trans Aktivist:innen beginnen, sich für rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung öffentlich einzusetzen. Was Geschlechterfragen und Sexualitäten angeht, ist hier ganz buchstäblich einiges in Bewegung – auch wenn diese Bewegungen in Österreich und der Steiermark im Vergleich zu anderen deutschsprachigen Ländern und Regionen mit Verzögerung ankommen.2 Die erste lokale homosexuelle Aktionsgruppe, die Homosexuelle Initiative (HOSI) Steiermark, wird im Herbst 1983 gegründet und tritt mit Aktionen wie der „Warmen Woche“ am Grazer Hauptplatz erstmals 1986 öffentlichkeitswirksam in Erscheinung.3 Dieser verzögerte Start der Bewegung – in der Schweiz und BRD beginnt sie bereits anfangs der 1970er-Jahre – erklärt sich unter anderem durch die rechtliche Situation in Österreich. 1971 werden im Rahmen der kleinen Strafrechtsreform homosexuelle Beziehungen unter Erwachsenen dekriminalisiert. Zeitgleich wird jedoch mit § 220 und 221 die Werbung für „Unzucht mit Personen desselben Geschlechts“ und „Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht“ verboten, und damit die politische Organisation des Kampfs um Anerkennung und Rechte von Homosexuellen erschwert. Eine soziale Bewegung, die sich für trans Rechte einsetzt, entwickelt sich in Österreich ebenfalls Ende der 1980er-Jahre, wobei die Transsexuelle Initiative Österreich (TSI) aus Graz hier zu den ersten dokumentierten gehört.4

Das Zitat von Sieverding stammt aus der Einladung zur Eröffnung der Ausstellung Transformer – Aspekte der Travestie, die im März 1974 zuerst im Kunstmuseum Luzern und 1975 in der Kunstsammlung des Museum Bochums gezeigt wird (siehe Abb. 1). Im Anschluss an diese Ausstellung soll „Travestie“ hier als anachronistischer Begriff für performative und künstlerische Praktiken verwendet werden, mit denen die Annahme einer fixen und aufeinander bezogenen Anordnung von Geschlecht und Sexualität ins Wanken gebracht wird.

Wie „queer“ ist auch „Travestie“ ein unscharfer und (produktiv) unabgeschlossener Begriff. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wird mit diesem Begriff, der sich vom Italienischen travestire, verkleiden, ableitet, eine Form der Dichtung bezeichnet, „in der ein poetisches Erzeugnis von ernstem oder erhabenem Inhalt dadurch ins Komische gezogen wird, daß sein Inhalt beibehalten, aber in eine zu seinem ernsten Charakter nicht passende äußere Form gekleidet (verkleidet, daher der Name) wird …“5 Es ist begriffsgeschichtlich schwer abzugrenzen, ab wann „Travestie“ einen sexuellen Fetisch oder alltägliche Kleidungspraktiken von Personen, die sich heute möglicherweise als trans begreifen würden, bezeichnet,6  und ab wann schließlich damit ein Bühnengenre benannt wird, das jedoch mit sexuellen (Sub-)Kulturen eng assoziiert bleibt. Die entsprechenden Quellen sind bisher nur wenig erschlossen.7

Queer wie auch Travestie markieren ein Feld, in dem sich gesellschaftliche und künstlerische Interessen von unterschiedlichen Subjektivitäten wie Trans, Schwul und Lesbisch (wie auch deren Überschneidungen) treffen, ohne dabei in eins zu fallen. Queer und Travestie stören eine als naturgegeben betrachtete Ordnung von Geschlecht und Sexualität und werden im aktivistischen und wissenschaftlichen Feld zu Instrumenten einer gleichsam lustvollen wie insistierenden Kritik an gesellschaftlicher Normalisierung von geschlechtlicher und sexueller Subjektivität. Dieser Zusammenhang ist in der deutschsprachigen Wissenschafts- und Aktivismus-Community durch Judith Butlers Beschreibung der New Yorker Drag- und ballroom-Kultur der Schwarzen und Latinx-Community als Performativität von Geschlecht bekannt geworden.8 Drag deckt für Butler die Imitationsstruktur auf, die jeder Geschlechtsidentität zugrunde liegt: jene zwangsweise, teilweise äußerst gewaltvoll oktroyierte „stilisierte Wiederholung von Akten“, in deren Wiederholungsstruktur jedoch auch das Potenzial zu ihrer Subversion liegt.9 Die Parodie von geschlechtlichem Verhalten eröffnet so die Möglichkeit einer Kopie, die das (vermeintliche) Original in seiner Gemachtheit ausstellt. Der Kategorie Geschlecht wird ihre Natürlichkeit geraubt, sie materialisiert sich als wiederholte Verhaltensweisen, Kopien von Kopien ohne Original.

Abbildung 1: Jean-Christoph Ammann, Transformer: Aspekte der Travestie, Ausstellungskatalog, Kunstmuseum Luzern (1974), Cover

Travestie für alle

Transformer – Aspekte der Travestie gilt als eine der ersten queeren Ausstellungen im deutschsprachigen Raum.10 Kuratiert von Jean-Christophe Ammann nähert sie sich mit einer kulturwissenschaftlichen Perspektive visuellen Darstellungen des theatralen Spiels mit Geschlechterbildern an: Travestie, Drag, Crossdressing etc. Sie stellt zeitgenössische künstlerische Arbeiten, wie die fotografischen Selbstporträts von Urs Lüthi (siehe Abb. 2)11, Beispiele aus der Populär- und Musikkultur der Zeit, unter anderem Mick Jagger12, gegenüber.

Abbildung 2: Urs Lüthi, The Number Girl (1973), 20 Fotografien auf Leinwand, jeweils 106 × 78 cm, Installationsansicht aus der Ausstellung Transformer – Aspekte der Travestie, Kunstmuseum Luzern, 1974

Neben Luzern und Bochum ist als dritte Station der Ausstellung 1974 die Neue Galerie in Graz vorgesehen, wie unter anderem dem Katalog zu entnehmen ist. Die Planungen dafür waren bereits weit fortgeschritten, der Katalog gedruckt und versandbereit, als sich im April 1974 der Leiter der Neuen Galerie, Wilfried Skreiner, an Ammann wendet und um Aufschub bittet, da er mit „leidigen Attacken von der Rechten und extremen Rechten“ zu schaffen habe.13 Im Archiv der Neuen Galerie gibt es keine weiteren Dokumente zu dem geplanten Projekt und dessen (wahrscheinlicher) Absage.

Die Forderung, wie sie Katharina Sieverding in ihrem Text für die Bochumer Einladungskarte formulierte, lautet vollständig:

Jeder heutige Mensch sollte seinen Anspruch auf Travestie vorbringen. So ist es endlich an der Zeit, die Schreckensmär und diese zweideutigen Spekulationen aufzugeben.

Statt dessen diese Möglichkeit für eine positive, allgemeine Kommunikation in der für jeden etwas drin ist im Sinne einer euphorischen Verantwortlichkeit und Teilnahme.

Die Eroberung eines anderen Geschlechts findet zunächst in einem selbst statt.14

Transformer – Aspekte der Travestie ging es nicht um die künstlerische oder gesellschaftliche Anerkennung einer sogenannten Minderheit, sondern um eine grundlegende Umwälzung der Verhältnisse, eine gesamtgesellschaftliche Transformation.

Körpersprache/Bodylanguage

Bereits ein Jahr vor der geplatzten Transformer-Ausstellung gibt es jedoch ein anderes künstlerisches Event, das mitten in Graz Bilder (subversiver?) Geschlechterperformances zeigt. Im Rahmen des steirischen herbst ’73 thematisiert die Ausstellung Körpersprache/Bodylanguage neben anderen – religiösen, ritualistischen und medizinischen – Ausdrucksformen des Körpers auch Travestie.

Abbildung 3: Arnulf Rainer, Plakat für den steirischen herbst ’73, Foto: Steiermärkisches Landesarchiv

Das Aufsehen erregende Projekt wird fast über die gesamte Dauer des Festivals in einem Zelt im Volksgarten gezeigt. Körpersprache/Bodylanguage wird federführend vom späteren Intendanten des steirischen herbst Horst Gerhard Haberl kuratiert, der zu dieser Zeit Mitarbeiter und Kurator an der Neuen Galerie sowie Art Director der Humanic AG ist. Mit seiner Kunstproduzentengruppe pool hatte Haberl bereits das Plakatmotiv des steirischen herbst ’72 gestaltet, auf dem ein Motorradtester der Puch-Werke seine Hose herunterzulassen scheint, und damit in der Stadt einen kleinen Skandal ausgelöst. Ein Motiv aus der Ausstellung Körpersprache/Bodylanguage, eine Übermalung eines fotografischen Selbstporträts von Arnulf Rainer, wird auch für das Plakat des steirischen herbst ’73 verwendet (siehe Abb. 3).

Körpersprache/Bodylanguage stellt ein künstlerisches Wagnis dar, da die Ausstellung thematisch und formal radikal neue Wege sucht und öffentlich zugänglich in einer städtischen Parkanlage im damals als Arbeiter:innenviertel geltenden Lend präsentiert wird. Folgt man den damaligen Kritiken, ist es die erste überblicksartige Schau von Body Art in Österreich, die lokale mit internationalen Strömungen zusammenbringt. Zu sehen sind Fotografien, Filme, Videos und Performances von Künstler:innen wie Trisha Brown, Günter Brus, VALIE EXPORT, Bella Lewitzky, Otto Muehl15, Friederike Pezold, Arnulf Rainer, Klaus Rinke, Lucas Samaras und Bruce Naumann.

Körpersprache/Bodylanguage zeigt jedoch nicht nur Exponent:innen einer damals noch neuen und wenig bekannter Kunstgattung, sondern präsentiert Beispiele aus bildender Kunst, Video, Performance und postmodernem Tanz gemeinsam mit Körperpraktiken und -darstellungen unterschiedlichster Herkunft:

Yoga, religiöse Körperhaltungen, Psychosen, die „Charakterköpfe“ Franz Xaver Messerschmidts, Foto- und Modellposen von Schiele und Gerstl, der Wiener Aktionismus … und der Transvestismus in der Körperkunst sind das didaktische Bild dieser Ausstellung und Publikation.16

Die hier genannte Publikation ist eine Doppelnummer des von der Gruppe pool herausgegebenen Magazins pfirsich, in dem die Thesen der Ausstellung in Texten und Bild-Arrangements dargelegt werden (siehe Abb. 4a–b). Explizites Anliegen der Ausstellung ist, den Körper als Kommunikationsinstrument vorzustellen und unterschiedliche Weisen, mit dem Körper zu kommunizieren, erfahr- und analysierbar zu machen. Damit bedienen sich die Ausstellungsmachenden eines erweiterten Kunst- und Kommunikationsbegriffs, in Teilen von der damals populären Kybernetik inspiriert.

Die Ausstellung war ursprünglich als Auseinandersetzung mit religiösen Körperhaltungen im Grazer Dom geplant. In der Vorarbeit wird das Projekt dann jedoch radikal erweitert, maßgeblich wohl durch Gespräche mit dem Aktionisten Arnulf Rainer.17 Im seinem Katalogbeitrag „Psychosen und Körpersprache“ erläutert Rainer sein Vorhaben, das Ästhetischen in Bereiche jenseits des Schönen und Grazilen anhand von Gebärden und Mimik zu entgrenzen, die in psychiatrischen Fotografien dokumentiert wurden.18 Erprobt wird hier jedoch auch eine neue Wirkrelation, die den sicheren Bereich des idealistischen (bürgerlichen) Kunstgenusses verlässt, jenes (vermeintlich) „interesselose Wohlgefallen“, das sich – um im kantischen Diskurs zu bleiben – von den heftigen Eindrücken des Erhabenen durch eine wenn überhaupt nur milde körperliche Reaktion unterscheidet. Die Beispiele aus der Psychiatriegeschichte wie auch die Rezeptionsgeschichte der Body Art (und so auch der Körpersprache/Bodylanguage-Ausstellung) machen jedoch deutlich, dass es dem kuratorischen Team um heftige Reaktionen geht. Wie auch Beispiele aus religiösen Zusammenhängen und der Populärkultur dringen sie in Bereiche vor, in denen Körper fundamental affiziert werden (sollen) – und zwar nicht nur die Körper der Darstellenden/Praktizierenden, sondern auch die der Zuschauenden/Teilnehmenden.

Vordergründig erscheint es vielleicht esoterisch, wenn der Kulturwissenschaftler Hermann Kern in seinem Katalogbeitrag „Religiös motivierte Körperphänomene Yoga Mudrá Trance Ritual“ von der damals noch eher unbekannten Yoga-Praxis als Energiediagramm, „als Bezeichnung einer bestimmten Konstellation physisch-psychischer Energien“ spricht.19 Übersetzt in die These der Ausstellung, den (menschlichen) Körper als Kommunikationsinstrument zu denken, wird Yoga jedoch zu einer Technik, eine Kommunikation zwischen Psyche und Physis herzustellen. Durch Training lässt sich diese Kommunikation mit dem Selbst verbessern und in einer Art Feedback-Schleife (um in der Terminologie der 1970er-Jahre zu bleiben) Zustandsveränderungen des Selbst vorzunehmen.

Travestie ist, nach dieser Lesart, so ebenfalls eine Technik des Selbst. Eine Technik des Selbst, die nicht nur psychosexuelles Wohlbefinden steigert, sondern in eine Kommunikation mit dem Außen tritt. Dieses Changieren zwischen alltäglicher oder privater Körpertechnik und einer mehr oder wenig öffentlichen Ausdrucksform vereint die Beispiele von Körpersprache/Bodylanguage.

Yoga, Travestie und vermeintliche psychische Störungen sind gleichzeitig Kommunikationsformen mit sich selbst wie auch mit anderen.

Diese Kommunikation kann Krankheit, Therapie, Selbsthilfe, Community-Building, Theater, Popmusik oder aber auch Kunst genannt werden.

Travestie ist eine Kommunikationsstufe, auf der versucht wird, sich einem geschlechtlichen Rollenverhalten, das die Leistungsgesellschaft an aufgezwungenen Verhaltensweisen bereithält, zu entziehen. Wenn die Tatsache der Ambiguität allgemein vertreten würde, würden die Mechanismen von Leistungssex und deren Verpflichtung an den normalen Ablauf unter Umständen als lächerlich empfunden, ja selbst das Imitieren des anderen Geschlechts als plumpe Wiederholung eben dieser Spielregeln.

„… es muß nicht mehr das abgeschnittene Ohr sein.“

Jeder heutige Mensch sollte seinen Anspruch auf Travestie vorbringen. So ist es endlich an der Zeit, die Schreckensmär und diese zweideutigen Spekulationen aufzugeben.

Statt dessen diese Möglichkeit für eine positive, allgemeine Kommunikation in der für jeden etwas drin ist im Sinne einer euphorischen Verantwortlichkeit und Teilnahme.

Die Eroberung eines anderen Geschlechts findet zunächst in einem selbst statt.20

Newsflash: Geschlechtsteile im Park

Nicht alle reagieren euphorisch auf Körpersprache/Bodylanguage. Die Kleine Zeitung berichtet am 11. Oktober 1973:

Anzeige wegen „Porno“

Gestern vormittag wurde von privater Seite bei der Grazer Polizei Anzeige wegen Verdachtes des Vergehens gegen das Pornographiegesetz im Zusammenhang mit der Ausstellung „Körpersprache“ im Volksgarten erstattet.21

Gegenstand der Erregung ist Günter Brus’ filmische Dokumentation der Aktion Zerreißprobe, die er 1970 in München durchgeführt hat, und die im Ausstellungszelt im Volksgarten quasi-öffentlich zugänglich ist. Brus trägt in Zerreißprobe Strumpfhose und Mieder über einer Feinripp-Unterhose, die er im Verlauf der Aktion zerschneidet, uriniert blau-grünlich in ein Glas, das er anschließend austrinkt, windet sich und schreit wie unter Schmerzen, schneidet sich mit einer Rasierklinge in den Hinterkopf und näht seinen Penis mit einer Nadel an seinen Oberschenkel.

Auch die Kronenzeitung berichtet von der Anzeige im Grazer Lokalteil und illustriert sie nicht nur mit einer Abbildung von Brus’ Aktion, sondern auch vom Ankläger, Franz Wolkinger, dem bekannten steirischen Biologen und Naturschützer. Parallel zu seiner Anklage richtet sich Wolkinger in einem Brief, versehen mit dem Stempel des Instituts für Anatomie und Physiologie der Pflanzen der Universität Graz, auch an die steirische Landesregierung. Die Filme der Ausstellung zeigen seiner Auffassung nach „unter dem Deckmantel ‚Kultur‘ bevorzugt Ausdrucksweisen von kranken und perversen Menschen“22 und stören damit den „Naturgenuss“. Wolkinger beruft sich auf seine Funktion als naturwissenschaftlicher Naturschutzbeauftragter der Stadt Graz und den Status des Volksgartens als Landschaftsschutzgebiet und fordert die sofortige Entfernung der Ausstellung. Als Alternativstandort schlägt er den Bahnhofsvorplatz vor.23

Abbildung 5: Körpersprache/Bodylanguage, Ausstellungsansicht, Volksgarten, Graz, steirischer herbst ’73, Foto: Archiv steirischer herbst / Philipp

Der Grazer Volksgarten muss Anfang der 1970er rough gewesen sein. Die Arbeiter-Zeitung berichtet am 14. Oktober 1974, drei Tage nach Wolkingers Anzeige, über einen anderen Vorfall in Zusammenhang mit Körpersprache/Bodylanguage. Ein 28-Jähriger gerät nach seinem Ausstellungsbesuch mit einem älteren Herrn über eine offen stehende Tür einer öffentlichen Toilette in Streit und wird von diesem mit einem Trommelrevolver ins Bein geschossen.24

Beide Auseinandersetzungen drehen sich um mögliche Blicke auf Geschlechtsteile in einem öffentlichen Park, implizit auch darum, welche Handlungen an die Träger:innen dieser Geschlechtsteile geknüpft sind. Und ob diese nun „pervers“ beziehungsweise „unter dem Deckmantel ‚Kultur‘“ vielleicht doch eher wider die Natur gerichtet sind.25 Eine Natur, zu der sich bestimmte Kräfte berufen fühlen, diese auch – notfalls mit Gewalt – zu schützen.

Soldaten-Drag

Geschlechtsperformances, die von einer vermeintlichen Natur abweichen, werden auch heute teilweise noch als Bedrohung wahrgenommen.26

Aber:
Nicht jede Travestie ist subversiv.
Nicht jede Absage ist ein Anzeichen von Unterdrückung.

Verkleidungspraktiken, insbesondere solche, die auf der Kategorie Geschlecht aufbauen, sind nicht notwendig subversiv. Sie können auch systemstabilisierend wirken und gesellschaftliche Hierarchien bestärken, statt soziale Ordnungen zu unterlaufen. So wurde von feministischer Seite her verschiedentlich argumentiert, dass mit der Geschlechtsimitation in Drag und Travestie reduktive Perspektiven auf weibliche Geschlechtsidentität eher zementiert als die Kategorie Geschlecht selbst infrage gestellt würden.27 Und auch Judith Butler spricht mit Blick auf Filme wie Tootsie oder Some Like It Hot von „eine[r] ritualistische[n] Entlastung für eine heterosexuelle Ökonomie“, die deren Grenzen eher – wie Butler formuliert – gegen eine Invasion von Queerness überwache und aus panischer Angst vor Homosexualität das heterosexuelle Regime verstärke.28

Insbesondere homosoziale Räume wie das Militär entwickeln dabei oft eine solche Angst. Die Fülle von soldatischen Drag-Praktiken, die aus den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts fotografisch dokumentiert sind, ist überwältigend (siehe Abb. 6a–d) – auch wenn offen bleibt, ob sie ein Entlastungsritual sind, das Heterosexualität stärkt, oder Freiräume für nicht normative Geschlechtsausdrücke im kriegerischen Ausnahmezustand darstellen.29

Auch wenn die Genealogie von Drag und Travestie weit verzweigt ist,30 drängt sich so die Frage auf, ob der rasante Popularitätsschub dieser Form in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – neben anderen Erklärungen wie einer vermeintlichen Liberalisierung westeuropäischer Länder und den wachsenden Möglichkeiten der medialen Dokumentation minoritärer Ausdrucksformen – nicht auch als Weiterleben einer soldatischen Travestiekultur in der Nachkriegszeit zu lesen sein könnte.

Die Eroberung eines anderen Geschlechts in sich selbst als kriegerische Praxis.

Geschlechterentspannung

Was, und mit wem, wird durch Travestie kommuniziert? Mit dieser Frage hat sich der marxistische österreichische Kunsthistoriker Peter Gorsen31 unter anderem in seiner Studie Sexualästhetik beschäftigt. Gorsen untersucht dort die „Grenzüberschreitungen zwischen erotischer Kunst und der Sexualästhetik des Alltagslebens im 20. Jahrhundert“ als weit gefasste Kritik der idealistischen Ästhetik, in der das „Pornographische … gegenüber einer vernunftlosen, irren Vernunft eine emanzipatorische Funktion für die Sinnlichkeit erfüllen“ werde.32 Das Travestie-Kapitel dieser 1986 erschienen Monografie ist dabei eine Überarbeitung jener Texte von Gorsen, die bereits Mitte der 1970er-Jahre in jeweils leicht unterschiedlichen Fassungen in den Ausstellungskatalogen zu Körpersprache/Bodylanguage und Transformer – Aspekte der Travestie erscheinen.33 Gorsen bezieht sich auf Beispiele der populären Kultur, der bildenden Kunst wie auch der protoqueeren Subkultur, die alle auch Gegenstand der beiden Ausstellungen sind. Die Geschlechtsüberschreitungen gehen dort vornehmlich von männlicher Seite aus. Gorsen nennt Lucas Samara, Günter Brus, The Cockettes, Luciano Castelli, Pierre Molinier, Jürgen Klauke, Urs Lüthi und – als einzige Frau – Katharina Sieverding, deren Arbeiten nur in der Luzerner Ausstellung vertreten sind. Jedoch können auch Arbeiten von VALIE EXPORT und insbesondere Friederike Pezold, beide Teil von Körpersprache/Bodylanguage, als Geschlechtsüberschreitungen gelesen werden (siehe Abb. 7a–c).34

Peter Gorsen situiert diese Formen der Travestie in einer Gesellschaft, in der sexualisierte Darstellungsweisen immer stärker normalisiert werden – nicht nur in Kunst und queerer (Sub-)Kultur, sondern auch in der Werbung. Fetischisierung und Sexualisierung der Produkte ist dort die Regel35 und gesellschaftliche Normabweichungen werden sofort in Verwertungsprozesse rücküberführt. Für Gorsen liegt dabei das subversive Potenzial der Travestie nicht im Wechsel von Mann zu Frau (oder andersherum), sondern in der „mimisch-theatralische[n] Überschreitung der alternativen, nur männlichen oder weiblichen Geschlechtsrolle“, in der „Konstruktion der Zwischenstufe“.36

In den fotografischen Selbstporträts von Pierre Molinier und Jürgen Klauke oder in Selbstinszenierungen der Drag-Performance-Gruppe The Cockettes findet Gorsen Geschlechterbilder vor, die mit Hilfe von Kleidung, Accessoires und Posen „freie Umbildungen der heterosexuellen Körpersprach-Gewohnheiten“ erzeugen37:

Die künstlerischen Körperakteure der Travestie beziehen sich auf Groteskkoppelungen von Körperbewegungen, auf die für unaustauschbar geltenden signifikanten Zeichen der Geschlechterdifferenzierung, die im „devianten“ Akt der männlichen Travestie effeminiert, sexualästhetisch „zweideutig“ gemacht werden. Die dabei entstehenden Neomorphismen des intersexuellen Körperbildes … sind im „normativen“ heterosexuellen Kommunikationszusammenhang negativ als geziert, unnatürlich, verschroben, manieriert usw. bestimmt.38

Die Travestie-Texte von Gorsen sind in vielerlei Hinsicht bemerkenswert und visionär, auch wenn sie gleichzeitig sperrig anmuten (Gorsen lehnt sich stilistisch deutlich an seinen Doktorvater Theodor W. Adorno an). Die Sexualästhetik ist der Versuch einer Kunsttheorie, die Travestie als mimetische Handlung beschreibt, jedoch nicht nur im Sinne einer Nachahmung von Geschlechterstereotypen, sondern auch als vorahmende Praxis,39 die neue Geschlechterbilder jenseits eines binären Modells entwirft. Diese ästhetischen Handlungen spielen sich wiederum in einem Feld ab, das sich weder mit einer idealistischen Abgrenzung von Kunst und Wirklichkeit begnügt noch idealistische/bürgerliche Konsequenzlosigkeit hinnimmt. Ästhetisches Handeln verlässt den geschützten Raum der Kunst und greift schöpferisch in die Gesellschaft ein. Travestie will nicht nur neue Geschlechterwelten imaginieren, sondern diese auch verkörpern und als Lebensform realisieren:

Das Privileg einer arbeitsteilig von ihm abgetrennten Travestie als Kunst, die Wirklichkeitsebene der Abbildung, die das androgyne Ideal als Fiktion einzig zu gestalten vermöchte, erkennen [die Körperakteure] nicht an. Fiktion und Wirklichkeit, Abbildung und Abgebildetes fallen zusammen. Die ästhetische Differenz von Kunst und Realität als eine zwischen der Wirklichkeitsebene der Abbildung auf der einen und des Abgebildeten auf der anderen Seite ist eben in dieser Verallgemeinerung falsch und innerhalb des subkulturellen Lebenszusammenhanges durch die Tatsache einer autonomen (selbstgewählten) intersexuellen Ästhetik und Körpersprache widerlegt. Es kann in vielen Fällen von einer „Körperkunst“ der Transvestiten und Effeminierten gesprochen werden, die den behaupteten Unterschied von fiktiver Abbildung und abgebildeter Realität annulliert.40

Mit seinen Katalogbeiträgen von 1973/74 liefert Gorsen so eine ästhetisch-theoretische Ergänzung der zeitgleich in der BRD sich formierenden Schwulenbewegung und ihrer stärker auf Psychoanalyse und Soziologie fokussierten Theoriebildung. Diese wertet den ästhetisierenden Lebensstil der homosexuellen Kultur als Versuch, gesellschaftliches Stigma durch Imitation eines bürgerlichen Habitus zu kompensieren.41 Mit Gorsen lässt sich jedoch die Figur der Tunte als Körperkunst der Effeminierten begreifen, die eine „schöpferische Differenzerfahrung zum gesellschaftlichen Status quo“42 verkörpert. Bereits ein Jahr vor der Transformer-Ausstellung in Luzern bietet so zumindest Gorsens Katalogbeitrag ein queeres ästhetisches Programm in Graz – und ermöglicht darüber hinaus eine queere Perspektive auf die Wiener Aktionist:innen, deren Arbeiten in Körpersprache/Bodylanguage sich in die transvestitischen Körperpraktiken einreihen.

Wie sich diese ästhetischen Figurationen schlussendlich vor der Überführung in Verwertungszusammenhänge schützen lassen, ist immer noch ungeklärt – insbesondere da kreative und kommunikative Tätigkeiten einen immer größeren Anteil der Arbeitswelt ausmachen und queere ästhetische Sensibilitäten wie Camp ihre Musealisierung erfahren.43 Gorsens Unterscheidung zwischen „massenhafte[m] Konsum“ und „authentischer, psychischer Fundierung“44 scheint jedenfalls nicht ausreichend. Sichtbarkeit queeren Lebens ist immer noch eine wichtige Forderung, da die gesellschaftliche Vielfalt von Geschlechtern, Sexualitäten und ihren Beziehungsformen weder auf Bühnen noch in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen bislang adäquat repräsentiert ist. Andererseits ist auch deutlich geworden, dass gerade queere Politik mit einem einfachen Verständnis von Repräsentation, im Sinne vollständiger Les- und Darstellbarkeit, nicht auskommt.45

Travestie inkognito

Als sich 1983 die HOSI Steiermark gründet, zeigt der steirische herbst mit Georgette Dee und Terry Trucks Liederabend Travestie inkognito im Stadtpark ein Künstler:innenduo, das ein Produkt der bundesdeutschen Schwulenbewegung ist.46

Abbildung 8: Georgette Dee & Terry Truck, Travestie inkognito, Musikperformance, im Herbstpark, Stadtpark Graz, steirischer herbst ’83, Foto: Archiv steirischer herbst / Philipp

Der Auftritt ist ein Erfolg und wird von Kritiker:innen bejubelt. Rechtliche Gleichstellung queeren Lebens ist zu diesem Zeitpunkt noch längst nicht erreicht; noch zwei Jahre später, 1985, wird das Ansuchen der HOSI Steiermark, einen öffentlichen Stand am Hauptplatz einzurichten, von der Stadt abgelehnt. Dennoch scheint das performative Durcharbeiten sozialer Unterscheidungsvorgänge, die die Dimensionen Geschlecht und Sexualität betreffen, und damit verbundener Diskriminierungsformen zumindest auf Bühnen allgemein akzeptiert zu sein – als eine zwischen Gesellschaftskritik, ästhetischem Experiment und individuellem Ausdruck verortete ästhetische Praxis. Aber auch diese ist im Kern Travestie, wenn auch inkognito.


1
Vgl. „Queer“, Diversity Arts Culture, https://diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/queer, für eine kurze Definition. Die theoretische Begriffsgeschichte zeichnet nach: Mike Laufenberg, Queere Theorien zur Einführung (Hamburg: Junius, 2022).
2
Vgl. Ulrike Repnik, Die Geschichte der Lesben- und Schwulenbewegung in Österreich (Wien: Milena, 2006).
3
Hans-Peter Weingand und Peter Beck, „Warme Woche“, Queere Geschichte(n): Eine Sammlung zur queeren Grazer Stadtgeschichte, 2021, https://queeregeschichten.at/index.php/geschiche/warme-woche/.
4
Persson Perry Baumgartinger, „Pathologisierung, Kriminalisierung und Selbstbestimmung – Die Trans-Bewegung“, Initiative Minderheiten, https://initiative.minderheiten.at/wordpress/index.php/2022/01/pathologisierung-kriminalisierung-und-selbstbestimmung-die-trans-bewegung-in-oesterreich/, wie auch Verein ⟧⟦diskursiv, Wo sind all die Transen hin … Die TransBewegung der 1990er Jahre in Österreich (Wien: Verein ⟧⟦diskursiv, 2011), https://diskursiv.diebin.at/uploads/media/diskursiv_WhereHaveTranniesGone_2011.pdf.
5
Meyers Großes Konversationslexikon, 6. Aufl. (1905–1909), s. v. „Travestīe“, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/23, https://www.woerterbuchnetz.de/Meyers?lemid=T04558.
6
Magnus Hirschfeld prägt dafür ca. 1910 den Begriff „Transvestiten“, vgl. Die Transvestiten: Eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb (Berlin, 1910). Zu historiografischen Herausforderung dieser Terminologie, vgl. Annette F. Timm und Michael Thomas Taylor, „Historicizing Transgender Terminology“, in Others of My Kind: Transatlantic Transgender Histories, hrsg. Alex Bakker, Rainer Herrn, Michael Thomas Taylor und Annette F. Timm (Calgary: University of Calgary Press 2020), 251–65.
7
Forschung dazu findet bisher vornehmlich im außerakademischen Rahmen statt. Vgl. Markues, We’re in this together: Eine künstlerische Recherche zum Cabaret Chez Nous (2021), http://wereinthistogether.de/; Tina Glamor, „Fotografien als Lockmittel und Versprechen“, ReVue, Sammlerkolumne, 27. August 2021, https://www.re-vue.org/beitrag/sammlerkolumne-tina-glamor.
8
Butler bezieht sich dabei auf die Darstellung in Jenny Livingstons Dokumentarfilm Paris Is Burning (1990), der wiederum von bell hooks für seine weiße Perspektive kritisiert wurde. Vgl. bell hooks, „Brennt Paris?“, in Black Looks: Popkultur – Medien – Rassismus, übers. Karin Meissenburg (Berlin: Orlanda, 1994), 179–93.
9
Judith Butler: Körper von Gewicht: Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, übers. Karin Wördemann (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1997), 171–97.
10
Fiona McGovern, „From ,Transformer‘ to ,Odarodle‘: A Brief History of Exhibiting Queer Art in the German-Speaking World“, On Curating 37 (2018), https://www.on-curating.org/issue-37-reader/from-transformer-to-odarodlea-brief-history-of-exhibiting-queer-art-in-the-german-speaking-world.html#n2.
11
Von Oktober 2021 bis Oktober 2022 zeigte die Neue Galerie Graz die Ausstellung Ladies and Gentleman: Das fragile feministische Wir, mit einem Schwerpunkt auf Werke aus der Sammlung mit feministischer und protoqueer-feministischer Perspektive. Das Plakat, mit einem Selbstporträt von Urs Lüthi, war in dieser Zeit im Grazer Stadtbild äußerst präsent.
12
Mick Jagger, Sänger der britischen Rockband The Rolling Stones, sprengte mit seinem als effeminiert betrachteten Tanz- und Performancestils in den 1960er und 1970er-Jahren Geschlechtererwartungen, möglicherweise vergleichbar mit Harry Styles, der als erster Cis-Mann in einem Kleid auf dem Cover der Vogue erschien. Ob Styles dabei das Schicksal von Jagger teilen wird, dass seine Performances durch den Einsatz der Musik in hegemonialen, reaktionären Kontexten, wie Wahlkampfveranstaltungen von Donald Trump und Angela Merkel, oder der Einführung von Microsoft Windows 95, jeglichen Anschein von geschlechtlicher und sonstiger Rebellion verliert, wird sich zeigen.
13
Wilfried Skreiner an Jean-Christophe Ammann, 10. April 1974, Archiv Neue Galerie Graz.
14
Katharina Sieverding, 17. Februar 1971, Einladung zur Ausstellung Transformer – Aspekte der Travestie, Museum Bochum, 1975.
15
Otto Muehl wurde 1991 wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen verurteilt.
16
Körpersprache/Bodylanguage: Katalog zur Ausstellung im Auftrag des steirischen herbst, Graz (1973) (= pfirsich 9/10, Oktober 1973).
17
Vgl. Werner Wolf, „Körperkunst im ‚steirischen herbst‘: Vom großen Risiko der Ehrlichkeit“, Neue Zeit, 10. Oktober 1973, 12.
18
Arnulf Rainer, „Psychosen und Körpersprache“, in Körpersprache/Bodylanguage (wie Anm. 16), 15. Georges Didi-Huberman hat die Beziehung von Fotografie und medizinischem Diskurs näher untersucht in Erfindung der Hysterie: Die photographische Klinik von Jean-Martin Charcot, übers. Hubert Thüring und Martin Stingelin (München: Wilhelm Fink, 1997).
19
Hermann Kern, „Religiös motivierte Körperphänomene Yoga Mudrá Trance Ritual“, in Körpersprache/Bodylanguage, (wie Anm. 16), 7–14.
20
Sieverding, Einladung (wie Anm. 14).
21
„Anzeige wegen ‚Porno‘“, Kleine Zeitung, 11. Oktober 1973. Archiv steirischer herbst, Graz.
22
Franz Wolkinger an das Amt der Steirischen Landesregierung, 11. Oktober 1973, Archiv steirischer herbst, Graz.
23
Die Ausstellung lief bis zum geplanten Ende, jedoch wurden nach der Anzeige die Filme von Brus aus dem Programm entfernt.
24
„Streit um Toilettentür: Schuß ins Bein“, Arbeiter-Zeitung, 14. Oktober 1973.
25
Wenn auch der Großteil des öffentlichen Anbahnens von Sex mit Männern durch andere Männer, das sogenannte Cruising, in Graz im Stadtpark passierte, belegen Polizeiakten, dass zumindest in den 1950er-Jahren auch die öffentlichen Toiletten im Volksgarten unter polizeilicher Überwachung standen, weil vermutet wurde, dass diese von Männern für anonymen Sex frequentiert wurden. Vgl. Joachim Hainzl, „,Ich lernte F. im Stadtpark kennen, gemeinsam in den Hilmteichwald gegangen‘: Eine Analyse von Strafakten zu Arten und Orten des Kennenlernens und Orten der sexuellen Aktivitäten homosexueller Männer in Graz“, Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 47 (2017): 263–81, hier 271.
26
Im Juni 2022 mauerten Rechtsradikale den Eingang zu einer Wiener Bücherei zu, um die Kinderbuchlesung einer Dragqueen zu verhindern. Vgl. „Wien: Rechtsextreme mauerten vor Dragqueen-Lesung Eingang zu Bücherei zu“, Der Standard, 3. Juni 2022, https://www.derstandard.at/story/2000136283306/wien-rechtsextreme-betonierten-buechereieingang-vor-lesung-einer-dragqueen-zu.
27
Vgl. z. B. die in Anm. 8 angeführte Kritik von bell hooks.
28
Butler, Körper von Gewicht (wie Anm. 9), S. 179.
29
Julia B. Köhne, Britta Lange und Anke Vetter, Hrsg., Mein Kamerad – die Diva: Theater an der Front und in Gefangenenlagern des Ersten Weltkriegs (Berlin: edition text + kritik, 2014); Martin Dammann, Soldier Studies: Cross-Dressing in der Wehrmacht (Berlin: Hatje Cantz, 2019).
30
Marjorie Garber, Verhüllte Interessen: Transvestismus und kulturelle Angst, übers. H. Jochen Bussmann (Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1993); Laurence Senelick, The Changing Room: Sex, Drag and Theatre (London: Routledge, 2000).
31
Gorsen lehrte von 1977 bis 2002 Kunstgeschichte an der Universität für angewandte Kunst in Wien und war häufiger Gast bei Symposien und Autor in Publikationen des steirischen herbst. Vgl. auch den Nachruf von Manuela Ammer und Kerstin Stakemeier, „Peter Gorsen: Ethiker des Unsittlichen (1933–2017)“, Texte zur Kunst, 29. März 2018, https://www.textezurkunst.de/de/articles/peter-gorsen-ethiker-des-unsittlichen-1933-2017/.
32
Peter Gorsen, Sexualästhetik: Grenzformen der Sinnlichkeit im 20. Jahrhundert (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1987), 9, 18.
33
„Körperrituale der Travestie und des Transvestismus: Die Geschlechterentspannung als Grenzform und ästhetisches Verhalten“, in Sexualästhetik (wie Anm. 32), 395–421; „Körperrituale der Travestie und des Transvestismus“, in Körpersprache/Bodylanguage (wie Anm. 16); „Die Geschlechterentspannung als Formprinzip und ästhetisches Verhalten: Versuch einer Standortbestimmung im Kapitalismus“, in Transformer: Aspekte der Travestie, Ausstellungskatalog, Kunstmuseum Luzern (1974). Vor den Katalogbeiträgen erschien von Gorsen „Intersexualismus und Subkultur: Zum Abbau der Geschlechterspannung“, in Maskulin – Feminin, hrsg. Anita Albus et al. (München: Rogner und Bernard, 1972), 91–137.
34
Gorsen bespricht Friederike Pezolds Fotoperformance Friedrich und Friederike (1973) im Kapitel „Männliche und weibliche Androgynität“, in Sexualästhetik (wie Anm. 16), 174–75.
35
Der Kurator der Körpersprache-Ausstellung Horst Gerhard Haberl hat mit seiner Werbung für den Grazer Schuhkonzern diese Fetischisierung, wenn auch in gebrochener Weise, mitangetrieben.
36
Gorsen, Sexualästhetik (wie Anm. 16), 399, 403. Hervorhebung im Original.
37
Gorsen, „Körperritual der Travestie und des Transvestismus“ (wie Anm. 33).
38
Gorsen, Sexualästhetik (wie Anm. 16), 400–1.
39
Auf die produktive Seite der Mimesis weist z. B. hin Christoph Wulf, „Mimesis“, in Vom Menschen: Handbuch Historische Anthropologie, hrsg. von Christoph Wulf (Weinheim: Beltz, 1997), 1015–29.
40
Gorsen, Sexualästhetik (wie Anm. 16), 402.
41
Vgl. z. B. Martin Dannecker und Reimut Reiche, Der gewöhnliche Homosexuelle: Eine soziologische Untersuchung über männliche Homosexuelle in der Bundesrepublik (Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1974), 132–35. Zur Theatertheorie der Tunte vgl. Eike Wittrock, „Tanztheater von hinten: Queering Pina Bausch“, in Staging Gender: Reflexionen aus Theorie und Praxis der performativen Künste, hrsg. Irene Lehmann, Katharina Rost und Rainer Simon (Bielefeld: transcript, 2019), 81–102.
42
Gorsen, Sexualästhetik (wie Anm. 16), 403.
43
Andrew Bolton, Hrsg., Camp: Notes on Fashion, Ausstellungskatalog, Metropolitan Museum of Art (New York: 2019).
44
Gorsen, Sexualästhetik (wie Anm. 16), 404.
45
Im Sinne Édouard Glissants wird zum Beispiel ein Recht auf Opazität gefordert, das andere Strategien (queerer) Poetiken verlangt. Vgl. z. B. die Arbeit Opaque (2014) von Pauline Boudry und Renaten Lorenz, https://www.boudry-lorenz.de/opaque/.
46
Eike Wittrock, „Stern.Zeichen: Schwules Theater, Travestie und queere Historiografie“, zeitgeschichte online, im Erscheinen.

Eike Wittrock ist Theater- und Tanzwissenschaftler sowie Dramaturg und Kurator. Seine Forschungen zur Historiografie des europäischen Bühnentanzes, zu Politiken des Archivs und queeren und exotistischen Performances präsentiert er sowohl in wissenschaftlichen wie auch in künstlerischen Zusammenhängen. Gemeinsam mit Anna Wagner ist er Initiator des Julius-Hans-Spiegel-Zentrums, einem künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsprojekt zu den Exotismen in der Tanzmoderne. Darüber hinaus war er von 2013-2016 Co-Kurator des Internationalen Sommerfestivals Kampnagel, Jury-Mitglied der Tanzplattform 2016 und kuratorischer Berater des Tanzkongress 2019. Derzeit arbeitet er an einer queeren Performance- und Theatergeschichte des deutschsprachigen Raums. Seit 2020 ist er Senior Scientist am Zentrum für Genderforschung der Kunstuniversität Graz.

Eike Wittrock war 2022 steirischer herbst Research Fellow und hat die Ergebnisse seiner Recherchen im Festivalarchiv erstmals in einem Vortrag präsentiert.

Empfohlene Zitierweise
Eike Wittrock, „Travestie in Graz, 1973: Körpersprache/Bodylanguage als queeres Projekt“, steirischer herbst (2023), https://www.steirischerherbst.at/de/pages/4839/.


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