Unser Herr Bundespräsident beim steirischen herbst (II): Wie Kurt Waldheim „zurecht“ ausgebuht wurde
18.7.25 / Herwig G. Höller
In diesem Blog berichtet steirischer herbst-Research Fellow und Journalist Herwig G. Höller über seine Entdeckungen im Festivalarchiv. Sie offenbaren oft überraschende Verbindungen zwischen dem steirischen herbst und der Welt der – lokalen wie internationalen – Politik.
Zwischen 1970 und 1987 wurde fast jeder steirische herbst durch den Bundespräsidenten eröffnet. Im ersten Teil dieses herbstleaks ging es um Franz Jonas (1965–74) und insbesondere Rudolf Kirchschläger (1974–86), der mit dem Festival zunehmend fremdelte, was hinter den Kulissen zu hitzigen Auseinandersetzungen und seltsamen Bündnissen führte.
Kurt Waldheim bei der Eröffnung des steirischen herbst ’86, Schauspielhaus Graz, Foto: Archiv steirischer herbst / Peter Philipp
Waldheim: 1986, 1987
Klestil: 1993
Fischer: 2004, 2007, 2015
Van der Bellen: –
Die politischen Verantwortlichen des steirischen herbst waren sehr interessiert an der Anwesenheit von Bundespräsident Rudolf Kirchschlägers Nachfolger beim Festival. Wenige Tage nach der Angelobung Kurt Waldheims (1986–92) informierte ein Mitarbeiter von Landeshauptmann-Stellvertreter Kurt Jungwirth den steirischen herbst, dass man davon ausgehen sollte, dass der Bundespräsident das Festival eröffnen werde. Die formale Zusage kam kurze Zeit später.
Weniger Freude mit dieser Ankündigung hatten erwartbar Vertreter:innen der Kunst. „Sie haben Ihre Vergangenheit vergessen. Wir würden gern vergessen, dass Sie der österreichische Bundespräsident sind. Wir ersuchen Sie, der Eröffnung des ‚steirischen herbst‘ fernzubleiben“, heißt es in einem offenen Brief, den die Schriftstellerin Elfriede Jelinek und die Filmemacherin Ulrike Ottinger Ende August 1986 lancierten.
Offener Brief von Elfriede Jelinek und Ulrike Ottinger an Kurt Waldheim, 27. August 1986, Archiv steirischer herbst
Der Bundespräsident kam am 20. September dennoch. Seine Eröffnungsrede im Schauspielhaus sei „zurecht von einigen Buhrufen begleitet“ gewesen, denn mehr als ein paar nebulöse Appelle habe Waldheim nicht zu bieten gehabt, kommentierte der Bayerische Rundfunk.
1987 besuchte Waldheim den steirischen herbst erneut. Nach Protesten der Jungen Generation in der SPÖ im Vorfeld informierte die Präsidentschaftskanzlei, dass es keine „offizielle Eröffnungsansprache“ geben werde. Im Archiv des steirischen herbst findet sich zu diesem Besuch lediglich ein Aktenvermerk von Generalsekretär Paul Kaufmann, der sich mit protokollarischen Fragen beschäftigt. „Was geschieht nach dem Theater? Ins Hotel, Waldheim möchte sich die Hände waschen“, heißt es unter anderem.
Aktenvermerk von Paul Kaufmann, 9. September 1987, Archiv steirischer herbst
Bis zum Ende seiner Amtsperiode 1992 wurde der Bundespräsident in Folge nicht mehr beim Festival gesehen. Die Gründe dafür sind unbekannt. Einschlägige Akten der Präsidentschaftskanzlei sind derzeit weder dort noch im Österreichischen Staatsarchiv zu finden.
Eine Rolle könnte freilich Hans Hollmanns Inszenierung von Friedrich Cerhas Der Rattenfänger gespielt haben, die am 26. September 1987 ihre Premiere in der Grazer Oper feierte. „Und ich habe mir gar nichts dabei gedacht, denn da war ja stets der Befehl. Und ich habe immer, immer, immer nur meine Pflicht gemacht“, spielte Cerha in einem Lamento des Kleinen Henkers auf eine Aussage Waldheims an. Dieser hatte im 1986 Wahlkampf erklärt, im Zweiten Weltkrieg nichts anderes als hunderttausende Österreicher getan zu haben, nämlich seine Pflicht als Soldat erfüllt.
Vergleichbare, politisch aufgeladene Episoden aus späteren Zeiten sind im Archiv des steirischen herbst nicht überliefert. Auch im Staatsarchiv sind Akten zu späteren Kontakten zwischen Präsidentschaftskanzlei und steirischer herbst einstweilen nicht verfügbar. Auffällig ist ebenfalls, dass die mediale Aufmerksamkeit für Eröffnungsreden von Bundespräsidenten nach Waldheim merklich zurückging. Unspektakulär verlief jedenfalls 1993 der einzige Auftritt von Thomas Klestil (1992–2004) sowie zwei Eröffnungsreden – 2004 und 2007 – von Heinz Fischer (2004–2016), der zudem 2015 zum ORF musikprotokoll kam.
Keine Kontakte zum steirischen herbst sind indes vom seit 2017 amtierenden Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen bekannt. Laut vorliegenden Informationen weilte er selbst in seiner Zeit als Parteichef der an und für sich sehr herbst-affinen Grünen zwischen 1997 und 2008 anscheinend nie bei einer Eröffnung. Sollte Van der Bellen bis zum Ende seiner zweiten Amtszeit 2029 nicht kommen, wäre er jedenfalls der allererste Bundespräsident in der Geschichte des steirischen herbst, der nie einen Festivalauftakt besuchte.