Unser Herr Bundespräsident beim steirischen herbst (I): Wie sich Rudolf Kirchschläger mit einem Rechtsradikalen solidarisierte

4.7.25 / Herwig G. Höller

In diesem Blog berichtet steirischer herbst-Research Fellow und Journalist Herwig G. Höller über seine Entdeckungen im Festivalarchiv. Sie offenbaren oft überraschende Verbindungen zwischen dem steirischen herbst und der Welt der – lokalen wie internationalen – Politik.

Rudolf Kirchschläger und Kurator Horst Gerhard Haberl bei der Eröffnung des steirischen herbst ’79, Neue Galerie Graz, Foto: steirischer herbst Archiv / Peter Philipp

Jonas: 1970, 1972
Kirchschläger: 1974, 1975, 1976, 1977, 1978, 1979, 1980, 1981, 1982, 1984, 1985

Im dritten Jahr seiner Existenz wollte sich der steirische herbst nach dem Vorbild von Salzburg oder Bregenz als nunmehr etabliert positionieren. „Außerdem würde es für den Steirischen Herbst eine publizistische Aufwertung bedeuten, wenn der Herr Bundespräsident veranlasst werden könnte, den Steirischen Herbst 1970 zu eröffnen“, schrieb der Generalsekretär des Festivals, Paul Kaufmann, am 25. März 1970 an Alfons Tropper, die rechte Hand von Landeshauptmann Josef Krainer senior. Gerade für die jungen Künstler Österreichs wäre die Anwesenheit des Bundespräsidenten eine Anerkennung, erläuterte Kaufmann.

Bundespräsident Franz Jonas (1965–74) sagte im Juni zu, verlangte jedoch, die zunächst für einen Sonntag geplante Eröffnung auf den Samstag vorzuverlegen. Sein Wunsch war Befehl. Jonas’ Rede im Schloss Eggenberg erfüllte die Erwartungen: „Wir hoffen mit den jungen Künstlern, dass sie in Graz aber auch verständige und gerechte Betrachter finden, die ihnen Mut machen zum weiteren Schaffen“, sagte er. Versuche, Jonas auch 1971 nach Graz zu bringen, scheiterten. Bei der Eröffnung des steirischen herbst ’72 sprach er jedoch erneut.

Die Anwesenheit des Staatsoberhaupts sorgte jedoch nicht nur für „publizistische Aufwertung“, sie diente auch konservativen Gegner:innen als Argument. So protestierte etwa im März 1973 der emeritierte Rechtsanwalt Heinrich Stöger in einem Brief an Landeshauptmann Friedrich Niederl noch einmal gegen jenes Plakat mit einem beleibten Mann, mit dem das Festival 1972 für seinen ersten größeren Skandal gesorgt hatte. Seine Aufforderung, „auf gewisse Unzukömmlichkeiten im Zusammenhang mit dem steirischen herbst Einfluss zu nehmen“, begründete Stöger explizit mit der Eröffnung durch den Bundespräsidenten.

Paul Kaufmann an Alfons Tropper, 4. Juli 1970, Archiv steirischer herbst

1974 kam erstmals Rudolf Kirchschläger (1974–86). Mit Ausnahme des steirischen herbst ’83 sollte er in seinen zwei Amtszeiten jede Ausgabe eröffnen. Kirchschläger interpretierte in seiner ersten Rede die Eröffnung von Festwochen durch das Staatsoberhaupt als Ausdruck der Identifikation der Gemeinschaft und des Staates mit dem Künstler und der künstlerischen Interpretation. In späteren Reden unterstrich er zwar die Existenzberechtigung des Festivals, schlug jedoch deutlich kritischere Töne an.

Festivalpräsident und Kulturlandesrat Kurt Jungwirth, damals für die Kommunikation mit dem Bundespräsidenten zuständig, enthielt anderen Verantwortlichen brisante Dokumente. Im Festivalarchiv findet sich daher nur wenig zu einem schwierigen Verhältnis mit Kirchschläger. Anders verhält es sich mit den Akten der Präsidentschaftskanzlei im Österreichischen Staatsarchiv.

Spätestens 1981–82 spitzte sich hinter den Kulissen ein Konflikt zu, der aller Wahrscheinlichkeit nach zur Absage des Bundespräsidenten für 1983 führte. Zeichen der Entfremdung zwischen Kirchschläger und dem Festival lassen sich in seinen Reden andeutungsweise seit 1976 erkennen. Auffällig ist dabei ein zumindest zeitlicher Zusammenhang mit der Kampagne von antimodernistischen Aristokrat:innen und Vertreter:innen des rechten ÖVP-Flügels, die Ende 1975, Anfang 1976 vergeblich versuchten, den steirischen herbst unter ihre Kontrolle zu bringen. Zwischen 1977 und 1982 sprach der Bundespräsident bei der Eröffnung dann jeweils vom „Mut zum Ja-Sagen, aber auch zum Nein-Sagen“ und meinte mit Letzterem die Ablehnung bestimmter Programmpunkte.

Anlass für die Zuspitzung 1981 dürfte die von Otto Breicha kuratierte Hermann-Nitsch-Ausstellung gewesen sein, die zu Protesten führte. Unter anderem lud der rechtsradikale Aktivist Herwig Nachtmann, Vorsitzender der Bürgerinitiative gegen Religionsverhöhnung, öffentliche Perversität und Steuerverschwendung, vor dem Ausstellungsort, dem Grazer Kulturhaus, eine Fuhre Mist ab.

Deutlich wird Kirchschlägers Haltung in einem Brief an Nachtmann selbst, in dem sich der Bundespräsident am 23. November 1981 mit dessen ästhetischen Ansichten solidarisierte: „Ich habe zu dem, was in der Nietsch-Ausstellung [sic] dargestellt wurde, von dem Augenblick an, wo ich davon Kenntnis hatte, von jenem Recht des Neinsagens hierzu Gebrauch gemacht, zu dessen Ausübung ich nicht erst bei der Eröffnung des Steirischen Herbstes 1981 ermuntert habe.“ Aufgrund seiner Ablehnung der Nitsch-Schau wolle er für derartige Zwecke keine öffentlichen Mittel aufgewendet wissen, lehne aber gleichzeitig behördliche Zensur ab. Die Ausstellung selbst und der weitreichende Protest der Bevölkerung  dagegen würden an der künftigen Programmgestaltung des Festivals sicher nicht spurlos vorbeigehen, gab sich Kirchschläger überzeugt und plädierte damit implizit für Selbstzensur.

Rudolf Kirchschläger im Gespräch mit Mauricio Kagel bei der Eröffnung des steirischen herbst ’84 (links Kurt Jungwirth, mittig Josef Krainer junior), Grazer Congress, Foto: Archiv steirischer herbst / Peter Philipp

Am 16. Oktober 1982 eröffnete der Bundespräsident dennoch erneut: „Ich weiß, dass manche meiner Mitbürger es nur schwer verstehen können, dass nach der verständlichen Ablehnung, der eine Ausstellung im vergangenen Steirischen Herbst begegnet ist, ich, der ich andere Wertvorstellungen zu vertreten versuche, wieder zur Eröffnung des Steirischen Herbstes komme.“

Nicht öffentlich wurde damals jener Schlagabtausch, zu dem es wenige Tage zuvor zwischen Kirchschläger und Jungwirth gekommen war. Nachdem sich das Staatsoberhaupt bei Landeshauptmann Josef Krainer junior über Augusto Boals für den 16. Oktober angesetzte Theaterstück Mit der Faust ins offene Messer beklagt hatte, ersuchte Jungwirth um ein Telefonat. „Allfällige Missverständnisse“ wurden am 12. Oktober besprochen.

„Der Herr Bundespräsident legte klar, dass er gegen eine offene Sprache nie etwas einzuwenden gehabt habe, es scheine ihm aber bei dieser Art von ‚Theaterkultur‘ die Spekulation auf das ‚Pornographiebedürfnis‘ eines gewissen Publikums und der Wunsch durch etwaige Theaterskandale aufzufallen“, heißt es in einem Aktenvermerk, den ein Mitarbeiter der Präsidentschaftskanzlei anlegte. Der Bundespräsident habe keineswegs für Zensur plädiert, wohl aber für das Recht der wohl überwiegenden Staatsbürger, andere Lebensmaßstäbe zu setzen, und er nehme dieses Recht auch für sich in Anspruch. Jungwirth habe seinerseits die Vorbehalte Kirchschlägers „durch den üblichen Hinweis auf den ‚Zeitgeist‘“ zu entkräften versucht.

Dass diese Überzeugungsarbeit des Landesrats zum Scheitern verurteilt war, legt ein Vermerk des Bundespräsidenten von Ende September nahe: „Der Text ist so, dass ich froh bin, nicht dort zu sein“, notierte Kirchschläger handschriftlich in Bezug auf Boals Stück. Die Präsidentschaftskanzlei informierte in Folge den steirischen herbst, dass der Bundespräsident die Eröffnungspremiere am Abend aus terminlichen Gründen nicht besuchen und bereits am Nachmittag abreisen werde.

Terminliche Probleme sollte es auch bei der Eröffnung der nächsten Ausgabe geben: Der 17. September 1983 sei durch die Einweihung des Soldatenfriedhofes Oberwölbling sowie die Eröffnung der Kirchenmusiktage im Stift Lilienfeld besetzt, ließ das Staatsoberhaupt Jungwirth im März 1983 wissen.

Wie Kirchschläger überzeugt werden konnte, 1984 und 1985 doch wieder zum steirischen herbst zu kommen und ob dies nötig war, lässt sich in den verfügbaren Dokumenten nicht eruieren. Offensichtlich ist jedoch, dass sich auch der neue Intendant Peter Vujica sehr um ihn bemühte. Im Mai 1983 fragte Vujica etwa höflich an, ob nicht „der auch außerhalb Österreichs bekannte Videokünstler Richard Kriesche“ mit dem Bundespräsidenten ein fünfzehnminütiges Interview über Kunst und Politik führen könnte. „Ich brauche aber wohl auch nicht zu sagen, dass ich eine Ablehnung im Hinblick auf Ihre Position respektvoll verstehen könnte“, beendete der Intendant seinen Brief. Kirchschläger stimmte zu – Kriesches Installation Es spricht der Bundespräsident wurde im Musikpavillon des steirischen herbst ’83 gezeigt.

Fortsetzung folgt.