Ein führender NS-Künstler unter den „Freunden des Steirischen Herbst“
23.5.25 / Herwig G. Höller

SS-Soldbuch und Personalausweis von Heinz Reichenfelser, Österreichisches Staatsarchiv (AT-OeStA/AdR MilEv WStB-Reihe)

Heinz Reichenfelser, Plakat für das Reichspropagandaamt Steiermark und den Steirischen Heimatbund, 1941–44?, Deutsche Nationalbibliothek
In diesem Blog berichtet steirischer herbst-Research Fellow und Journalist Herwig G. Höller über seine Entdeckungen im Festivalarchiv. Sie offenbaren oft überraschende Verbindungen zwischen dem steirischen herbst und der Welt der – lokalen wie internationalen – Politik.
Oft wurde zwar an Hans Kloepfers Gedicht „Steirischer Herbst 1916“ aus dem Ersten Weltkrieg erinnert, der Name „Steirischer Herbst“ könnte aber auch auf einen gleichnamigen Artikel im Völkischen Beobachter vom 31. Oktober 1942 bezogen werden, in dem der Schriftsteller die Steirer:innen zum Durchhalten im Zweiten Weltkrieg aufforderte. „Heute aber“, schrieb Kloepfer, „geht’s um weit mehr als um die grüne Heimat, heute geht’s ums ganze Reich.“ Doch das Festival selbst war stets als Initiative zur Überwindung dieses problematischen Erbes verstanden worden.
Die Bemühungen von Kulturlandesrat Hanns Koren (ÖVP), die kulturelle Kooperation von Österreich, Jugoslawien und Italien zu forcieren, wiesen in diese Richtung. Und das „ewiggestrige“ Publikum sah sich durch Kunst- und Theaterprojekte allherbstlich provoziert. Im steirischen herbst ’88 sorgte etwa Hans Haacke mit einem Werk für Aufsehen, das derzeit in einer Haacke-Retrospektive im Wiener Belvedere 21 gewürdigt wird: In Und ihr habt doch gesiegt rekonstruierte der deutsche Künstler mit kritischen Kommentaren jene „Installation“, mit der die neuen Machthaber am 25. Juli 1938 am Eisernen Tor ihren beim Putschversuch von 1934 getöteten Mitstreitern gedacht hatten.
Was Haacke nicht wusste: Mit Heinz Reichenfelser (1901–1969) war ausgerechnet der Designer der „Feststätte“ von 1938 an der ersten Vereinsgründung im Kontext des Festivals beteiligt. Als sich am 6. März 1969 der zunächst für Subventionen zuständige Verein der Freunde des Steirischen Herbstes in Korens Büro konstituierte, saß dort laut Protokoll auch Reichenfelser, NSDAP-Mitglied seit 1931. Er vertrat den Industriellen Peter Reininghaus, der den führenden steirischen Nazikünstler und begabten Grafiker 1953 zum Werbeleiter seiner Brauerei gemacht hatte. Wortmeldungen Reichenfelsers aus der Sitzung sind nicht überliefert. Er verstarb im November 1969.

Protokoll der konstituierenden Sitzung des Vereins der Freunde des Steirischen Herbst (Auszug), 6. März 1969, steirischer herbst Archiv
Gerade in den frühen Jahren waren auch weitere Personen beim Festival aktiv, mit deren Aktivitäten vor 1945 man sich genauer hätte beschäftigen können. Das gilt insbesondere für den Musikbereich. Der Komponist und erste Leiter der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz, Erich Marckhl (1902–1980), NSDAP-Mitglied seit 1933, gehörte bis 1970 dem Kuratorium des jungen Festivals an. „Ich kann nichts dafür, dass ich in der Art der hier geförderten Kunstwerke in vielen Fällen nichts sehen kann als Abwandlungen von Blasphemie“, begründete er am 23. Oktober 1970 seinen Rücktritt in einem Schreiben an Landesrat Kurt Jungwirth (ÖVP).
Aber auch der im Dritten Reich als Komponist erfolgreiche und seinerzeit ausgezeichnete Ernst Ludwig Uray (1906–1988) war bis 1971 im Kuratorium. Nachdem er nach 1938 die Musikredaktion des Reichssender Wien geleitet hatte, war er zwischen 1946 und 1971 in einer analogen Funktion beim ORF Steiermark tätig. „Erlauben Sie mir, dass ich Ihren Eintritt in den Ruhestand und damit Ihr Ausscheiden aus dem Kuratorium des Steirischen Herbstes zum Anlass nehme, um Ihnen nochmals für Ihre Mitarbeit und Mitwirkung im Kuratorium seit der ‚Grundsteinlegung‘ des Steirischen Herbstes sehr herzlich zu danken“, schrieb Generalsekretär Paul Kaufmann am 16. März 1971 an Uray.
Eine einschlägige Vergangenheit hatte ebenfalls Komponist Franz Mixa (1902–1994), dessen Sonnengesang im steirischen herbst ’69 aufgeführt wurde. Der gebürtige Wiener, seit 1932 NSDAP-Mitglied bis 1938 insbesondere in Island tätig, stand auch noch viel später in Kontakt mit dem Festival. Im Juni 1988 gratulierte Intendant Peter Vujica dem 86-jährigen Komponisten zur „schon seit Jahrzehnten fälligen Auszeichnung“ mit dem Großen Goldenden Ehrenzeichen des Landes Steiermark.

Peter Vujica an Franz Mixa, 29. Juni 1988, Archiv steirischer herbst
Zu nennen wäre zudem der Historiker und Landesbedienstete Manfred Straka (1911–1990), NSDAP-Mitglied seit 1933 und seinerzeit Mitarbeiter des Südostdeutschen Instituts in Graz, eines zentralen Ideengebers für die brutale NS-Germanisierungspolitik in der slowenischen Untersteiermark. Er organisierte 1971 das Symposium Der urbanisierte Mensch – zum Problem der Verstädterung. Und im Rahmenprogramm des steirischen herbst ’73 fand das Seminar Die musikalische Volkskultur der Steiermark statt, bei dem ehemalige Spitzenvertreter der NS-Volkskunde wie Karl Haiding (1906–1985) und Richard Wolfram (1901–1995) auftraten.
Auch weitere Kontakte lassen sich belegen. So versuchte die Presseabteilung des steirischen herbst im Mai 1970 vergeblich, einen gewissen Heliodor Löschnigg (1895–?) bei der rechtslastigen Grazer Zeitschrift Das Programm zu erreichen. Zurück kam ein vergleichsweise unfreundlicher Brief von Chefredakteur Kurt Kirmann, der mit Löschnigg nicht mehr in Kontakt war und sich äußerst verwundert zeigte, dass man beim Land Steiermark – dort verortete Kirmann das Festival – nichts über dessen schlechten gesundheitlichen Zustand wisse. Der Vorzeigenazi Löschnigg, der Adolf Hitler 1923 ein „Fahnenlied“ gewidmet und sein Idol erstmals 1926 getroffen hatte, war vor 1945 Leiter des Kulturamts der Stadt Graz gewesen. In dieser Funktion trat er 1939 auch gemeinsam mit Kloepfer auf. Eine späte Würdigung als Komponist erfuhr Löschnigg übrigens 2019, als die von Marckhl mitgegründete Kunstuni Graz eine Aufnahme seiner Vertonung eines Gedichts von Bruno Ertler veröffentlichte.