„Abtreibung kommt nicht in Frage“: Wie der steirische herbst an Elfriede Jelineks Burgtheater scheiterte
9.5.2025 / Herwig G. Höller
In diesem Blog berichtet steirischer herbst-Research Fellow und Journalist Herwig G. Höller über seine Entdeckungen im Festivalarchiv. Sie offenbaren oft überraschende Verbindungen zwischen dem steirischen herbst und der Welt der – lokalen wie internationalen – Politik.

Elfriede Jelinek im Kulturhaus der Stadt Graz, 1996, Foto: Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung, Graz

Peter Vujica im Palais Attems, Graz, 1980er, Foto: steirischer herbst Archiv / Peter Philipp
Bei den Wiener Festwochen feiert heuer am 18. Mai Elfriede Jelineks Burgtheater in einer Inszenierung von Milo Rau im Burgtheater selbst Premiere – 43 Jahre nachdem die manuskripte das Stück veröffentlichten, 40 Jahre nach der Uraufführung der Posse mit Gesang in Bonn und 20 Jahre nach der österreichischen Erstaufführung im Grazer Heimatsaal durch das Theater im Bahnhof.
Bereits 1983 hatte sich der damalige Intendant des steirischen herbst, Peter Vujica, intensiv um die Uraufführung bemüht. Wie Briefe im Festivalarchiv nahelegen, scheiterte er letztlich an der Selbstzensur potenzieller Partner.
„Ich halte Ihr Burgtheater noch immer für ganz ausgezeichnet und gehe mit diesem Projekt schwanger, Abtreibung kommt nicht in Frage“, schrieb Vujica am 5. Juli 1983 an Jelinek, in einem Brief, den er mit der Anrede „Schönste“ einleitete.
Die Ambitionen des steirischen herbst waren bereits zuvor öffentlich geworden: Starregisseur Hans Hollmann wolle Burgtheater inszenieren und die Jelinek sei sich sicher, dass die Aufführung den größten Theaterskandal der Zweiten Republik auslösen könnte, vermeldete die Südost-Tagespost am 19. Mai 1983. „Das absurde Stück persifliert nämlich attackenreich das Verhalten einer berühmten und ‚heiligen‘ Wiener Schauspielerfamilie während der NS-Zeit“, notierte die ÖVP-Parteizeitung, ohne dabei die Namen Wessely oder Hörbiger zu nennen.

Brief von Vujica an Jelinek, 5. Juli 1983, Archiv steirischer herbst
Dass eine Realisierung schwer sein würde, war Vujica von Anfang an klar. Am 11. Jänner 1983 schrieb er an Regisseur Horst Zankl nach Frankfurt, dass man sich in Graz „da irgendwie vor rechtlichen Folgen“ fürchte und er auf die Zustimmung des Grazer Schauspieldirektors angewiesen sei.
Sieben Monate später signalisierte Vujica schließlich in einem Brief an Jelineks deutschen Verleger, Jürgen Bansemer, dass es mit einer Uraufführung im steirischen herbst eher nichts würde. Aufgrund der Struktur des Festivals verfüge er weder über ein Theater noch über ein Ensemble.
„Zu meinem Bedauern habe ich bei den Vereinigten Bühnen Graz bisher noch keine Gegenliebe gefunden. Das hat die verschiedensten Gründe – unter anderem auch den, dass man mit dem heiligen Burgtheater nicht anecken möchte. Auch Dr. Hollmann hat in einem Gespräch anklingen lassen, dass er Veränderungen vornehmen möchte, weil natürlich auch er sich durch diese Uraufführung nicht für immer aus dem Burgtheater hinausinszenieren möchte“, erklärte der Intendant. Er versuche aber noch, das Berliner Schillertheater und den dortigen Generalintendanten Boy Gobert für das Stück zu interessieren. Sollte dies nicht klappen, würde er es ein drittes Mal beim Schauspielhaus Graz versuchen.
Warum diese weiteren Bemühungen scheiterten, ist unklar. Am 10. November 1985 wurde Burgtheater jedenfalls in Bonn uraufgeführt und begründete – so die Wiener Festwochen – Jelineks Ruf als „Nestbeschmutzerin“.